NETZWERK ISTANBUL KONVENTION

Auszug aus dem Schattenbericht: Kritische Perspektiven zur Schweizer Umsetzung der Istanbul Konvention in Wissenschaft und Forschung

Im Rahmen der nicht-staatlichen Überwachung zur Umsetzung der Istanbul Konvention hat das Netzwerk Istanbul Konvention einen eigenen Bericht erstellt. Dahinter steckt folgendes: 2017 hat die Schweiz die Istanbul Konvention ratifiziert, diese ist rechtlich bindend und verpflichtet die Mitgliedstaaten, gegen alle Formen von Gewalt vorzugehen – insbesondere gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Die Staaten erstellen alle vier Jahre einen Bericht, in dem sie sich selbst evaluieren. Damit die Selbstdarstellung nicht allzu rosig ausfällt, erstellt ein breites Bündnis von zivilgesellschaftlichen Institutionen einen Alternativbericht. FemWiss war dabei für den Teilbericht zu Wissenschaft und Forschung verantwortlich.

 

Hier geht's zum Teilbericht von FemWiss zu Wissenschaft und Forschung.

 

Bericht der Zivilgesellschaft zur Istanbul Konvention: Staat trägt Mitverantwortung an Gewaltsituationen!

Nachdem der Bund am 18. Juni seinen Bericht zur Umsetzung der Istanbul Konvention (IK) in der Schweiz veröffentlicht hat, zeigen heute die Fachstellen und NGOs ihre Sicht in einem eigenen Bericht der Zivilgesellschaft zuhanden des Europarats auf: Täglich zeigt sich in ihrer Arbeit, dass es weiterhin am politischen Willen und ausreichend finanziellen Mitteln für die nötigen Massnahmen gegen Gewalt und zugunsten der Betroffenen fehlt. Damit trägt der Schweizer Staat eine Mitverantwortung an den Gewaltsituationen!

 

Im Netzwerk Istanbul Konvention arbeiten über 90 Fachstellen und -Beratungsstellen, Schutzunterkünfte und NGOs aus den Bereichen Gewalt, Behinderung, LGBTIQA+, Alter, Kinder, Migration/Asyl und Menschenrechte, die im Netzwerk Istanbul Konvention zusammen. Ihnen zeigt sich tagtäglich in ihrer Arbeit gegen Gewalt sowie mit Gewaltbetroffenen und Tatpersonen, dass es an allen Ecken und Enden fehlt: an rechtlichen und praktischen Massnahmen für einen echten Opferschutz zugunsten aller Gewaltbetroffenen, nachhaltiger Prävention und gerechter Strafverfolgung. «Um die Istanbul Konvention konsequent umzusetzen, braucht es viel mehr Massnahmen. Die Schweiz muss endlich handeln», resümiert Anna-Béatrice Schmaltz Mitkoordinatorin des Netzwerk Istanbul Konvention (und Projektleiterin Gewaltprävention der feministischen Friedensorganisation cfd)

In der Medienmitteilung vom 18. Juni hat das Netzwerk bereits massiv mehr Geld, mehr gesamtschweizerisch einheitliche Regelungen und überkantonaler Schutz gefordert. Heute streicht das Netzwerk heraus, wie sich der Schweizer Staat einer Mitverantwortung schuldig macht, wenn Gewaltsituationen aufgrund von fehlenden Massnahmen und Ressourcen andauern oder neu initialisiert werden.

 

Staatliches Sparen führt zu Diskriminierung von Gewaltopfern

Die aktuellen Massnahmen gegen Gewalt und Angebote für Betroffene in der Schweiz sind nicht auf die Bedürfnisse von allen Opfern ausgerichtet und für bestimmte Opfer auch nicht zugänglich. So bspw. für Menschen mit Behinderungen, Migrantinnen, LGBTIQA+-Menschen und alte Menschen. Dies führt zu Diskriminierungen und einer faktischen Duldung von Gewalt durch den Schweizer Staat. So muss Angie Hagmann, Geschäftsleiterin von avanti donne – Interessenvertretung Frauen mit Behinderung festhalten: «Viele Frauen und Mädchen mit Behinderungen haben aufgrund ihrer Lebensumstände ein überproportional hohes Risiko, Gewalt zu erleben. Barrieren beim Gewaltschutz und bei der Opferhilfe erhöhen dieses Risiko zusätzlich.» Die Fachstellen und NGOs fordern deshalb eine inklusive und diskriminierungsfreie Umsetzung der Konvention, wozu die Schweiz gemäss Art. 4 IK auch verpflichtet ist. «Aktuell spart die Schweiz beim Gewaltschutz auf dem Buckel bestimmter Opfer. Diese Diskriminierung ist ein Skandal und gefährdet Leben!», sagt Simone Eggler, Mitkoordinatorin des Netzwerk Istanbul Konvention (und Verantwortliche Politik bei Brava – ehemals TERRE DES FEMMES Schweiz).

 

Schweiz stützt Gewaltehen statt Opfer zu schützen

Die Schweiz hält weiterhin an ihrem Vorbehalt zu Art. 59 IK fest und weigert sich, allen Opfern von Gewalt in der Ehe Schutz zu bieten. So riskieren Opfer, die sich aus einer Gewaltehe befreien wollen, dass sie (und ihre Kinder), die Schweiz verlassen müssen. Deshalb sind sie faktisch durch den Staat gezwungen, in der Ehe auszuharren. «Das Gesetz diskriminiert die Opfer je nach Status des Ehepartners, was den Zielen der Istanbul-Konvention zu widersprechen scheint. Die Schweiz muss ihren Vorbehalt zu Artikel 59 der Istanbul-Konvention aufheben und den Schutz aller Opfer Häuslicher Gewalt sicherstellen.» sagt Chloé Maire vom Centre Social Protestant Vaud, das Migrant*innen begleitet.

 

Digitale Gewalt tötet

Digitale (geschlechtsspezifische) Gewalt ist ein reales und weitverbreitetes Problem, das bisher von der Schweiz nicht ernst genommen wird. «Digitale Gewalt ist Gewalt. Auch ohne blaue Flecken und Knochenbrüche kann Digitale Gewalt töten. Dies muss im Strafgesetz verankert werden und die Unterstützung der Betroffenen staatlich finanziert werden.», sagt Jolanda Spiess-Hegglin, Geschäftsleiterin von #NetzCourage, der einzigen Beratungsstelle für Betroffene von Digitaler Gewalt. An griffigen Gesetzen sowie nachhaltig und vollständig finanzierten Unterstützungs- und Präventionsangebot fehlt es bisher jedoch.

 

Das Netzwerk Istanbul Konvention fordert die Schweiz deshalb auf, die IK konsequent, inklusiv und diskriminierungsfrei umzusetzen und somit allen Opfern von Gewalt gerecht zu werden.

 

Hier geht es zur Medienmitteilung des Netzwerk Istanbul Konvention inklusive Kontaktdaten. 

Der komplette Bericht findet sich hier.